Farbenprächtige Klangwelten erfüllten am Sonntag die St.-Vitus-Kirche in Olfen beim Sommerkonzert des Sinfonieorchesters Westmünsterland des Musikschulkreises Lüdinghausen, der mehrere Städte und Gemeinden der Region umfasst, darunter auch Olfen. Die mehr als 70 Musikerinnen und Musiker, die sich gemeinsam mit ihrem Dirigenten Matthias Lichtenfeld ein halbes Jahr lang auf diesen Auftritt vorbereitet hatten, boten mit dem Kol Nidrei von Max Bruch und der zweiten Sinfonie von Johannes Brahms ein anspruchsvolles Programm, das – wenn auch keine Kirchenmusik im eigentlichen Sinne – dem sakralen Raum durchaus angemessen war.
Keine leichte Sommerunterhaltung, wie Pfarrer Franke in seiner Begrüßungsansprache bemerkte, in der er seiner Freude über die vielen Gäste in der katholischen Kirche, musizierenden wie zuhörenden, Ausdruck verlieh. Bei einem kurzen Ausblick auf die zu erwartenden Musikstücke, wies er auf den Ursprung des „Kol Nidrei“ hin, des jüdischen Gebetes am Vorabend des Jom Kippur, des höchsten jüdischen Feiertages, von dessen Melodien der protestanische Komponist Max Bruch zutiefst berührt wurde. Doch auch das bittere Unrecht, das dem Stück wie seinem Komponisten in der Zeit des Nationalsozialismus zugefügt wurde, blieb nicht unerwähnt, wurden doch das „Kol Nidrei“ und zugleich sämtliche Werke von Max Bruch aus den Konzerthäusern verbannt. Und so war es zugleich eine Geste der Versöhnung als auch ein Geschenk an die Zuhörer, als dieses fast vergessene Stück zum Erklingen kam.
Sanfte, getragene Streicherklänge leiteten das „Kol Nidrei“ ein und bildeten einen warmen Klangteppich für die Solo-Cellistin Sonja Koke mit ihren atemberaubenden, elegischen Melodiebögen. Im zweiten Abschnitt des Werkes mit seiner eher fließenden Agogik untermalten auch die Bläser den tragenden Celloklang. Souverän, technisch versiert und ausdrucksstark verzauberte die junge Masterstudentin Sonja Koke mit ihrem Spiel das Publikum und durfte – mehr als verdient – anhaltenden Applaus genießen, bevor sie sich für das nächste Stück in die Reihen des Orchesters setzte, dem sie seit vier Jahren angehört.
In der nun folgenden zweiten Sinfonie in D-Dur von Johannes Brahms konnte das Sinfonieorchester seine volle Stärke entfalten. Der erste Satz war geprägt von heiteren, pastoral und gelegentlich volksliedhaft anmutenden Klängen. Hier wurden die Naturerfahrungen des Komponisten am Wörthersee, wo er die Sinfonie konzipierte, greifbar. Der aufmerksame Zuhörer konnte sogar Anklänge an das ebenfalls von Johannes Brahms stammende bekannte Lied „Guten Abend, gut’ Nacht“ entdecken. Kraftvolle und dramatische Passagen ließen jedoch unmittelbar deutlich werden, dass es in diesem großen Werk der romantischen Sinfonik um mehr geht, als um eine naiv-heitere Naturdarstellung, dass vielmehr das Empfinden des Menschen in der Wechselwirkung mit der ihn umgebenden Schöpfung in seiner gesamten Bandbreite und Tiefe musikalisch ausgelotet wird. So bildete der zweite Satz mit seinem eher melancholischen Charakter einen deutlichen Gegenpol zu dem Vorangegangenen. In den häufig komplexen, gegeneinander verschobenen Rhythmen, die den Halt gebenden Rahmen des Taktes stellenweise nahezu aufzulösen schienen, wurde das Suchen und Fragen des Menschen nach Sinnhaftigkeit und Erfüllung deutlich. Und auch der dritte, lebhaft tänzerische Satz endete mit einer großen Geste der Sehnsucht, die schließlich zu einer Ruhe, wie sie stillem Erinnern innewohnt, verebbte. Aus dieser Stille heraus erklangen die ersten Takte des vierten Satzes quasi als eine leise Ankündigung dessen, was da kommen sollte. Und das waren gewaltige Klangwogen von geradezu ausgelassener Munterkeit, die sich in den Kirchenraum ergossen und kaum Platz zu finden schienen in den engen Mauern der eigentlich doch geräumigen Kirchenschiffe. In diesem letzten Satz wurde das Publikum noch einmal von der spürbaren Begeisterung und Spielfreude des Orchesters mitgerissen, sodass es nach den furiosen Schlussakkorden mit ausgiebigem Applaus und stehenden Ovationen für die musikalische Darbietung dankte.
Als Zugabe war das Publikum dazu eingeladen, gemeinsam mit dem großen Orchester das Kirchenlied „Großer Gott, wir loben Dich“ zu singen – ein inhaltlich wie musikalisch stimmiger Ausklang dieses beeindruckenden Konzertes.
Bürgermeister Wilhelm Sendermann freute sich in seinen Schlussworten, dass kulturellen Ereignissen wie einem solchen Sinfoniekonzert in der Stadt Olfen Raum gegeben wird, auch wenn man die Olfener bisweilen etwas überreden müsse, wie er mit einem Augenzwinkern beim Blick in den Kirchenraum, in dessen Bänken sich durchaus noch freie Plätze befanden, bemerkte. Doch dieses mochte auch dem sommerlichen Wetter und den vielen Veranstaltungen, die in der Region an diesem Wochenende zur Auswahl standen, geschuldet sein.
Das Orchester und Dirigent Matthias Lichtenfeld jedenfalls waren mit der gelungenen Aufführung rundum zufrieden und freuen sich jetzt schon auf das nächste Programm, das für die traditionellen Neujahrskonzerte des Musikschulkreises erarbeitet werden soll. Was gespielt wird, wird noch nicht verraten, aber eines steht fest: Mit dem Sinfonieorchester Westmünsterland ist weiterhin zu rechnen!